Reiseliteratur in der Frühen Neuzeit

Reiseliteratur vom späten Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit in der Reiseberichte-Datenbank
Kupferstichbild: Frontispiz »Die vornehmsten Europäischen Reisen [...]« (Hamburg 1741)Nur ein kleiner Teil der frühneuzeitlichen Reisenden hielt seine Reiseerfahrungen tatsächlich schriftlich fest.
Frontispiz »Die vornehmsten Europäischen Reisen [...]« (Hamburg 1741), Künstler: Gottlob Friedrich Krebel
© Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden


Inhalt
  1. Reiseliteratur im Mittelalter
  2. Reiseliteratur in der Frühen Neuzeit
  3. Reiseliteratur in der Datenbank



Reiseliteratur im Mittelalter

Nur ein verschwindend kleiner Teil der Reisenden auf den europäischen Wegen schrieb seine Erfahrungen während der Reise nieder. Im späten Mittelalter waren es vor allem Pilgerreisen, die den Großteil der Reiseliteratur ausmachten. Die ersten im deutschen Raum erscheinenden Reiseberichte des Spätmittelalters waren Übersetzungen meist lateinischer Texte. Mit den Möglichkeiten des neuen Mediums Buchdruck wurde die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts zur Hochzeit der Reiseberichte des späten Mittelalters. Dabei handelte es sich um eine heterogene und kaum zu systematisierende Masse an Reiseliteratur, deren Autoren sich meist loser Bezeichnungen wie etwa ›cronike‹, ›beschreibung‹ oder ›unterrichtung‹ bedienten. Mit der steigenden Pilgerzahl wuchs allerdings auch die Abnehmerzahl für schriftliches Material zu den jeweiligen Routen, sodass sich erste deutschsprachige Pilgerführer herauskristallisierten. Im Gegensatz zu dieser anleitenden und meist formalen Vorbildern folgenden Reiseliteratur entstanden aber auch individuelle Reisebeschreibungen – sogenannte Itinerare, welche unter anderem die vom Autor zurückgelegte Route, seine Reiseausrüstung und seine finanziellen Ausgaben detaillierten. Dennoch bediente sich ein Großteil der Itinerare zumindest bei der Beschreibung des Heiligen Landes und seiner kulturell-religiösen Stätten der bereits vorhandenen Beschreibungen der Pilgerführer. Literarische Reiseberichte waren hingegen meist eine Kombination aus Pilgerführer und Itinerar und legten besonderen Wert auf narrative Spannung. Das meistbereiste Ziel war zweifellos Jerusalem und bereits im 15. Jahrhundert wuchs die Zahl der Pilgerreisenden in das Heilige Land stetig an und auch Rom und Santiago de Compostela wurden zu begehrten Pilgerzielen. So reiste der sächsische Landrentmeister Hans von Mergenthal im Hofstaat Herzogs Albrechts des Beherzten gemeinsam mit anderen Fürsten auf Pilgerfahrt von Dresden nach Jerusalem und schrieb seine Beobachtungen in der »Gründliche[n] vnd warhafftige[n] beschreibung Der Löblichen vnd Ritterlichen Reise vnd Meerfart in das heilige Land nach Hierusalem« nieder. Die Autoren der Berichte waren ab Mitte des 15. Jahrhunderts aber nicht nur Gelehrte und Adlige, sondern auch Geistliche und Bürger. Ihre Motivation, eine solche Reise anzutreten, konnte von religiösen Gründen (Sühne, Sündenablass, Seelenheil) bis zu weltlichen Vorteilen wie etwa einem erheblichen Statusaufstieg reichen, den eine solche weite Reise ebenfalls versprach.

Die Übergänge zwischen literarischer Gestaltung und persönlicher Erfahrung sind in der mittelalterlichen Reiseliteratur schwer voneinander zu trennen. Für die Autoren des Spätmittelalters war es besonders bei weitabgelegenen Reisezielen üblich, nicht nur authentische Reisebegebenheiten, sondern auch die Sichtung von Fabelwesen wie etwa Einhörnern schriftlich festzuhalten. Gleichzeitig finden sich gerade in den Reiseberichten zum Heiligen Land auch religionsgeschichtliche und topografische Einordnungen sowie Beobachtungen und Belehrungen über die dort beheimateten Tiere und Pflanzen. Letztlich war die Reiseliteratur des späten Mittelalters meist weniger den tatsächlichen Begebenheiten der Reise selbst, sondern der Einreihung in die Tradition eines wachsenden Kanons verpflichtet.

Reiseliteratur in der Frühen Neuzeit

Dieser strikte Rahmen wurde erst in der Frühen Neuzeit langsam gelockert. Die Gattung der Reiseliteratur wandte sich ab dem 16. Jahrhundert von der kanonischen Nacherzählung ab und entwickelte sich stattdessen zu einer dynamischen Gemengelage an verschiedensten Untergattungen, welche auch die immer stärkere Ausdifferenzierung von sozialen, konfessionellen und politischen Strömungen während der Epoche widerspiegelte. Anstatt eine rigide Systematik zu erfüllen, entwickelten sich die Reiseaufzeichnungen des Einzelnen nun zu einem individuellen Sammelsurium an Wissen, welches die Reisenden auf ihren Reisen anhäuften.

Mit dem Beginn der Reformationszeit nahm die Anzahl der Pilgerreisenden stetig ab. Gleichzeitig entwickelte sich mit dem Entstehen der europäischen Universitätslandschaft eine neue Art des Reisens, die nunmehr das Sammeln und Systematisieren von Wissen und Lebenserfahrungen in den Vordergrund rückte. Dazu kamen ab dem 17. Jahrhundert wissenschaftliche Reisen im Auftrag einzelner Landesherren, die meist durch Briefwechsel zwischen den reisenden Forschern und ihren Auftraggebern sowie durch eine umfangreiche Aufzeichnung in Reisetagebüchern und in abschließenden Berichten begleitet wurden. So beauftragte etwa Kurfürst Friedrich August III. von Sachsen den Inspektor des Mineralien- und Naturalienkabinetts des Dresdner Zwingers, Carl Heinrich Titius, 1777 mit einer Reise durch Deutschland, die Niederlande, England und Frankreich, um einen Eindruck von den dort vorhandenen Naturalienkabinetten zu erlangen. Das daraus entstandene »Reisejournal [des] Herrn D. Carl Heinrich Titius« wurde 1783 veröffentlicht.

Ab dem 17. Jahrhundert waren es außerdem vermehrt junge Männer, die sich zum Abschluss ihrer Erziehung auf Reisen begaben. Sie kamen aus dem gewerblichen Mittelstand und städtischen Bürgertum genauso wie aus adligen Familien. Oftmals reisten die jungen Adligen gemeinsam mit einem Gelehrten, der ihnen als Pädagoge bei seiner Studienreise oder Kavalierstour zur Seite gestellt wurde. Hauptziele aller Arten dieser sogenannten Grand Tour waren Frankreich und Italien, aber auch die Niederlande und England. Die ausführlichen Berichte über die Reisen der adligen Studenten wurden meist durch ihren begleitenden Pädagogen und in der Regel in der jeweiligen ›Volkssprache‹ verfasst. So beeinhaltet die Sammlung etwa »Herrn Georgen von Fürst, eines berühmten Cavaliers aus Schlesien, Curieuse Reisen durch Europa, in welcher allerhand Merckwürdigkeiten zu finden«, welcher auf seiner Kavaliersreise gemeinsam mit seinem Hofmeister quer durch Europa auch von seinem Verweilen in Sachsen berichtet.

Die deutschen Gebiete waren hingegen bis etwa zur Mitte des 17. Jahrhunderts kaum bereist, da sie stark durch Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges in Mitleidenschaft gezogen waren. Ab dem späten 18. Jahrhundert entwickelten sich sogenannte Provinzreisen – also Reisen in diejenigen Teile des Reiches, deren Reiz in ihren regionalen Besonderheiten lag. So wurden etwa im späten 18. Jahrhundert die ersten Reiseberichte über die Ober- und Niederlausitz veröffentlicht, wie etwa die »Briefe über Herrnhut und andere Orte der Oberlausitz« des Pfarrers Christian Gottlieb Schmidt zeigen. Es handelte sich hier teils um ein nicht ganz reibungsfreies Unterfangen, waren die meisten der deutschsprachigen Reisenden doch kaum auf die interkulturelle Begegnung mit den dort seit Jahrhunderten siedelnden Sorben vorbereitet. Dieser Umstand wurde zusätzlich dadurch erschwert, dass die deutschen Reisenden eine Vielzahl von patriarchal-nationalistischen Vorurteilen mitbrachten und diese durch ihre Begegnungen während der eigenen Reise nur teilweise überwanden. Dennoch wurden beispielsweise auch religiöse Zentren wie etwa die Brüdergemeine Herrnhut bereist, deren empfundene ›Andersartigkeit‹ eine Bereicherung der eigenen Erfahrungswelt und gleichzeitig eine interessante Veröffentlichung versprach.

Reiseliteratur in der Datenbank

Die früheste verzeichnete Reise, die »Gründliche vnd warhafftige beschreibung Der Löblichen vnd Ritterlichen Reise vnd Meerfart in das heilige Land nach Hierusalem« des kursächsischen Landrentmeisters Hans von Mergenthal, fand bereits im späten 15. Jahrhundert statt und führte ihn gemeinsam mit Herzog Albrecht dem Beherzten und anderen Fürsten auf Pilgerfahrt von Dresden nach Jerusalem. In anderen frühen Reiseberichten wie etwa dem »Bericht über eine Reise in das Erzgebirge aus dem Jahre 1557« oder der »Reise durch Sachsen und Thüringen im Jahre 1588. Aus dem Tagebuch Karls des Älteren von Zerotin« schrieben die Autoren ihre Reiseerfahrungen in Mitteldeutschland während des 16. Jahrhunderts nieder, auch wenn ihre Reiseberichte teils erst sehr viel später veröffentlicht wurden. Auch Reiseführer, wie etwa das »Delitiarum Germaniae, tam superioris quam inferioris, Index simul & viatorius, indicans Itinera ex Augusta Vindelicorum, ad omnes civitates & oppida, tam in superiori quam inferiori Germania«, ein auf Latein gefasstes ›Verzeichnis aller Orte in Nord- und Süddeutschland‹ inklusive Straßenverzeichnis und Wegbeschreibungen, sind in der Datenbank vertreten.

Die spätesten Reiseberichte in der Sammlung wie etwa die »Beobachtungen bey meinem Aufenthalt in der Oberlausitz und auf einer Reise über Dresden nach Wittenberg im Jahre 1818« des Philosophen und Psychologen Johann Gebhard Maaß richten ihr Augenmerk hingegen auf spezifischere Themen wie etwa die Auswirkungen der napoleonischen Kriege. Berichte wie die »Briefe an deutsche Freunde von einer Reise durch Italien über Sachsen, Böhmen, und Oestreich, 1820 und 1821 geschrieben und als Skizzen zum Gemälde unserer Zeit herausgegeben«, welche auf einer Reise des Musikschriftstellers, Kantors und Pädagogen Wilhelm Christian Müller entstanden, geben einen Einblick in das Selbstverständnis des Reisenden im frühen 19. Jahrhundert. Auch die Erfahrung von Natur spielt in den späteren Reiseberichten und besonders bei Künstlern und Literaten eine große Rolle – so etwa die Sächsische Schweiz, deren detaillierte Beschreibung sich beispielsweise in den »Mahlerischen Wanderungen durch Sachsen« des Schriftstellers Karl August Engelhardt und des Kupferstechers und Malers Johann Philipp Veith oder den »Reiseschatten von einem Ausfluge nach dem Harz, der Sächsischen Schweiz im Sommer 1831« Hans Christian Andersens wiederfindet.


    Bibliografie

    • Brenner, Peter (Hg.): Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur. Frankfurt am Main 1992.
    • Hentschel, Uwe: Die Lausitzen in alten Reisebeschreibungen. In: Neues Lausitzsches Magazin 143 (2021).
    • Keller, Andreas/Siebers, Winfried: Einführung in die Reiseliteratur. Darmstadt 2017.
    • Ridder-Symoens, Hilde de: Die Kavalierstour im 16. und 17. Jahrhundert. In: Brenner, Peter (Hg.): Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur. Frankfurt am Main 1992, S. 197–223.
    • Stagl, Justin: Die Methodisierung des Reisens im 16. Jahrhundert. In: Brenner, Peter (Hg.): Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur. Frankfurt am Main 1992, S. 140–177.
    • Wolf, Gerhard: Die deutschsprachigen Reiseberichte des Spätmittelalters. In: Brenner, Peter J. (Hg.): Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur, Frankfurt am Main 1992, S. 81–116.