Reisen in der Frühen Neuzeit

Beweggründe, Straßennetze und das Reisen innerhalb Sachsens
Der Kurzwarenhändler (Radierung 1741)Viele der frühneuzeitlichen Reisenden waren beruflich unterwegs, wie etwa dieser Kurzwarenhändler, der seine Waren in der Bauchlade portabel zum Kauf anbietet.
»Der Kurzwarenhändler« (Radierung 1741), Künstler: Dietrich, Christian Wilhelm Ernst (1712-1774)
© Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden. Foto: Andreas Diesend


Inhalt
  1. Reisende und ihre Beweggründe
  2. Reisewege und -transportmittel
  3. Sachsen als Durchfahrtsland? Zwischen via regia und via imperii



Reisende und ihre Beweggründe

Die Veränderungen in der Epoche der Frühen Neuzeit – also grob der Zeitspanne zwischen 1500 und 1800 – veränderten auch die Umstände des Reisens. Einflüsse hatten dabei nicht nur politische Wandlungen wie etwa die Entstehung eines frühmodernen Staatensystems, auch Veränderungen im Verkehrs- und Postwesen, die entstehende Rationalisierung von Organisationsstrukturen und nicht zuletzt der Ausbau des Wegesystems beeinflussten die Reisegewohnheiten der Reisenden in der Frühen Neuzeit.

Die Reisewege der Frühen Neuzeit wurden von vielen unterschiedlichen sozialen Gruppen aus verschiedenen Beweggründen genutzt: Kaufleute und Händler waren ebenso unterwegs wie Soldaten oder Gesellen auf Wanderschaft. So unternahmen Kaufleute etwa im Buch- und Verlagshandel jährliche Reisen zur Buchmesse in Leipzig, um ihre eigenen Drucke zu verkaufen, aber auch um neue Erzeugnisse zu erwerben und auszutauschen. Kleinere Handelsreisende, oft sogenannte Hausierer oder fliegende Händler, waren auf den ständigen Ortswechsel angewiesen, um ihre Güter oder Dienste einem immer neuen Publikum anzubieten. Dazu gehörten etwa Kesselflicker, Messer- und Scherenschleifer, Schuhflicker, Kleinwarenhändler und Krämer. Aber auch ortsansässige Menschen wie etwa Bauern reisten auf den Straßen in die nächstgrößeren Städte, um ihre Agrarerzeugnisse auf den Märkten zu verkaufen und Güter für den Eigenbedarf zu erwerben oder einzutauschen. Einen großen Teil der Reisenden machten in der Frühen Neuzeit außerdem Angehörige des Militärs aus. Da sich die Fürsten der Frühen Neuzeit an einer Vielzahl der dynastisch, bündnispolitisch oder konfessionell motivierten Schlachten mit eigenen Truppen beteiligten und gleichzeitig eine Professionalisierung des Kriegswesens im Allgemeinen stattfand, wandelte sich das mittelalterliche Ritterheer im 16. und 17. Jahrhundert zu den typisch frühneuzeitlichen Landsknechtshaufen; also Söldertruppen, die in größeren Gruppen gemeinsam mit ihren Familienangehörigen sowie Versorgungsdienstleistenden von Schlacht zu Schlacht zogen. Die allmähliche Einführung von stehenden Heeren im Laufe des 17. Jahrhunderts brachte zwar Marschordnungen und einheitliche Uniformierung der Truppen mit sich, trotzdem handelte es sich weiterhin um Freiwilligenarmeen, deren Rekruten sich ebenfalls erst auf die Reise zu den Garnisonen ihrer Auftraggeber begeben mussten. Gleichzeitig stieg zwischen der zweiten Hälfte des 16. und dem ersten Drittel des 17. Jahrhundert die Zahl der Flüchtlingsströme, welche aufgrund von Kriegszerstörungen oder religiöser Verfolgung auf der Suche nach Zuflucht und einer neuen Bleibe gezwungen waren, sich auf Reisen zu begeben. Darüber hinaus konnten Unglücksfälle wie etwa Krankheit oder Kriegsversehrung, Hausbrände, Überschwemmungen sowie sonstige wirtschaftliche Nöte ganze Familien auf die Straßen zwingen. Sie mussten sich dann dem nicht sesshaften Rand der Gesellschaft anschließen, der seinen Lebensunterhalt durch Bettelei, Almosen oder kriminelle Unternehmungen wie Betrug oder Raub bestreiten musste.

Dennoch haben die wenigsten dieser Reisenden schriftliche Zeugnisse hinterlassen. Nur ein kleiner elitärer Teil, meist Gelehrte oder Adlige, hielten ihre Erfahrungen und Eindrücke in Reisetagebüchern fest, die später überarbeitet und veröffentlicht wurden. Somit machten Wallfahrer, junge Adlige auf Kavalierstour, Studenten und Diplomaten zwar einen geringen, aber exklusiven Teil jener Reisenden auf den frühneuzeitlichen Straßen aus, die tatsächlich schriftliche Überlieferungen ihrer Reisen hinterließen.

Reisewege und Transportmittel

Die Verkehrswege in Europa waren vor allem durch die überregionalen Fernverkehrsstraßen geprägt, welche die einzelnen Herrschaftsbereiche miteinander verbanden und eine Reise – sei es aus religiösen, militärischen, politischen oder finanziellen Gründen – überhaupt erst ermöglichten. Gereist wurde meist zu Fuß, für Gewerbereisende teils unter Zuhilfenahme von Lasttieren wie Ochsen, Maultieren, Eseln oder Pferden, die vor ein- oder zweiachsige Fahrzeuge gespannt wurden, die bis zu zwölfspännig gefahren werden konnten. Teilweise wurden für die Reisenden auf besonders frequentierten Streckenabschnitten auch Mietpferde angeboten. Die meisten Mitfahrgelegenheiten boten sich allerdings im Postwesen, das mit der Umstellung von berittenen Kurieren auf Postkutschen nun neben dem Warentransport auch den europäischen Personenverkehr auf Räder setzte. Die Postrouten machten nun erstmals ein dichtes Netz mit stundengenauen Abfahrtszeiten möglich, die wiederum eine bessere Planbarkeit für die Reisenden bedeuteten. Trotzdem blieb in der Frühen Neuzeit ein häufiger Wechsel von Transportmittel und -route die Regel, um ein schnelles Fortkommen und eine sichere Reise zu garantieren. Dies lag nicht zuletzt im schlechten Allgemeinzustand der Straßen begründet, denn das Straßennetz der Frühen Neuzeit wies zahlreiche Schwierigkeiten auf, welche erst am Ende des 18. Jahrhunderts langsam verbessert werden konnten.

Zwei Haupttrassen durchzogen Europa: Auf der sogenannten via imperii konnten Reisende von der Ostsee im Norden nach Rom im Süden und auf der via regia aus dem Westen Spaniens bis nach Russland im Osten reisen. Auf den Strecken dieser beiden Trassen fand sich ein Großteil derjenigen Reisenden wieder, die überregionale Ziele ansteuerten. Dies bedeutete allerdings nicht, dass Reisende in der Frühen Neuzeit davon ausgehen konnten, dass diese Fernverkehrsstraßen die komplette Reiseroute vorgeben würden oder dass man sich gar auf einen ebenmäßigen Ausbau verlassen konnte.

Tatsächlich waren die meisten der Verkehrswege bereits im Mittelalter angelegt und seitdem kaum nennenswert verbessert worden. Darüber hinaus konnte es vorkommen, dass Teile der Strecke auf einem der kleineren Nachbarwege genommen werden mussten – teils, um einen besonders gefürchteten Streckenabschnitt zu vermeiden, teils um unbefahrbare Straßenabschnitte zu umfahren. Befand man sich dann wieder auf den Haupttrassen, waren auch diese meist kaum befestigt, wiesen oft nur mit Reisig oder Ästen dürftig ausgebesserte Schlaglöchern auf und waren besonders an Flussübergängen wie Brücken oder Furten schwierig zu passieren. Meist handelte es sich um Sandpisten, welche besonders anfällig gegenüber Nässe und Frost waren und sich dann in teils kaum befahrbare morastige Schlammpisten oder festgefrorenen Morast verwandelten. Erst mit dem Bau sogenannter Chausseen konnte ab dem späten 18. Jahrhundert eine Verbesserung der Straßenqualität erreicht werden. Durch eine neue mehrschichtige Bauweise sowie eine Wölbung der Fahrfläche mit angrenzenden Gräben und Begrünung konnte das Regenwasser seitlich abgeleitet werden und verhinderte so die Verwandlung in eine Schlammpiste. Dennoch blieben Chausseen eine Seltenheit und waren in ihrer Anlegung so teuer, dass die Landesherren aus Sorge um die neuen Trassen eiligst neue Straßenverordnungen folgen ließen, welche ihre Befahrung stark einschränkten.

Sachsen als Durchfahrtsland? Zwischen via regia und via imperii

Quer durch Sachsen verliefen bereits im Mittelalter bedeutende Fernverbindungstrassen – sowohl als Verbindung zwischen Norden und Süden, als auch von Westen nach Osten wurde das Land be- beziehungsweise durchreist. Die größte der West-Ost-Trassen war dabei die sogenannte via regia (= Königsweg), auch strata regia (= Königsstraße), und im deutschen Sprachraum bis in das 20. Jahrhundert meist Hohe Straße (= Verlauf auf einer Wasserscheide oder Kammlinie) genannte Trasse, welche aus Polen über Görlitz, Bautzen, Kamenz, Königsbrück, Großenhain und Wurzen weiter nach Leipzig verlief. In Leipzig bot sich, neben den jährlichen Messen, die Möglichkeit einer Nord-Süd-Anbindung, und so konnten die Reisenden entweder weiter nach Halle und Magdeburg oder über Naumburg und Erfurt nach Frankfurt reisen. Von der Hohen Straße zweigten wiederum weitere Trassen ab, die unter anderem als sogenannte Frankenstraße am Fuße des Erzgebirges über Freiberg, Chemnitz, Zwickau, Plauen und Hof verliefen.

Dabei durchlief die Trasse verschiedene Territorien, Rechts-, Währungs- und Konfessionssysteme und war spätestens seit der sächsischen Zollordnung von 1462 zu einer verkehrstechnischen Hauptschlagader geworden, von der nicht nur die Reisenden selbst, sondern auch die Landesherren durch Zoll- und Geleitstationen profitierten. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung durch den Bergbau im Erzgebirge wurden die sächsischen Wegenetze im 14. und 15. Jahrhundert bereits weiter ausgebaut. Trotzdem blieben die Straßen in Sachsen – wie im gesamten Reich – für die Reisenden durchaus gefährlich. So konnten besonders die natürlichen Begebenheiten der sächsischen Mittelgebirgslandschaft, aber auch menschliche Gefahren wie etwa Wegelagerer die Reise erschweren. Auch ließ der Zustand der sächsischen Straßen mehr als zu wünschen übrig, waren die Verkehrswege doch bis ins 17. Jahrhundert meist unbefestigt und Witterungseinflüssen ausgeliefert. Obwohl im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert parallel zum Wegenetz ein neues sächsisches Postsystem eingerichtet wurde, blieb der Personentransport per Fahrtpost dennoch die Ausnahme – das Gros der Reisenden war bis in das 18. Jahrhundert weiterhin zu Fuß oder auf den Karren von Fuhrleuten unterwegs.

Neben der Weiterreise nach Frankfurt oder Nürnberg waren aber auch Ziele in Sachsen selbst Anziehungspunkte für sowohl Händler als auch Gelehrte. So übte insbesondere die Messestadt Leipzig aufgrund ihrer kurfürstlichen, kaiserlichen und päpstlichen Privilegien eine große Anziehungskraft auf Kaufleute aus, die ihre Waren auf den großen Märkten und Messen in der Stadt vertrieben. Teils siedelten die Vertreter süddeutscher oder niederländischer Handelsfamilien gar in die Stadt über, um neue Handelshäuser aufzubauen. Tatsächlich machte gerade die Vielfalt der Handelswaren eines der Erfolgsgeheimnisse der Handelshäuser aus. Gehandelt wurden in Leipzig zur Blütezeit der via regia eine Vielzahl von Waren: Metalle wie Silber, Kupfer, Blei oder Vitriol; Waid (eine Pflanze welche zur Blaufärbung von Stoffen verwendet wurde) aus Thüringer Anbau, Textilien aus der Oberlausitz und Schlesien, Lebendvieh, Felle, Häute, Talg und Wachs aus Polen, Ungarn und Russland sowie Produkte wie Wein, Südfrüchte, Öl, Salze und andere Gewürze, die aus dem Handel in Osteuropa ihre Wege nach Sachsen fanden. Mit dem Beginn der aus Spanien eingeführten Feinwollschafzucht wurden ab 1765 von Leipzig ausgehend sogar Produkte aus Merinowolle gehandelt.

Neben dem kaufmännischen Handel stellten die Universitäten ein weiteres Reiseziel dar. So entwickelte sich die Universität Leipzig bereits im 15. Jahrhundert zu einem Anziehungspunkt, der mit dem in Leipzig ansässigen Handel in Wechselwirkung treten konnte. Als sich die Universität im Zuge der Reformation als eine protestantische Hochschule neu aufstellte, verstärkte sich ihre (über)regionale Anziehung weiter. Gemeinsam mit dem in Leipzig bereits zuvor ansässigen Buchdruck und -handel entwickelte sich die Stadt während der Frühen Neuzeit zu einem kulturellen Bildungszentrum. Darüber hinaus zogen die zahlreichen privaten und öffentlichen Bibliotheken in Sachsen reisende Gelehrte an. Auch Handwerker und Künstler mussten sich aus Bildungsgründen auf Reisen begeben: So schrieb während des 17. Jahrhunderts etwa die Dresdner ›Ordnung der Maler‹ eine dreijährige Wanderschaft vor, um den Meistertitel verliehen zu bekommen.

Tatsächlich zog es aber auch eine große Anzahl an Menschen nach Sachsen, die ihren vorherigen Lebensmittelpunkt aufgeben mussten: Besonders die für die Frühe Neuzeit typische Auswanderung aus Glaubensgründen brachte viele Migranten nach und durch Sachsen, die aufgrund ihrer von ihren ursprünglichen Landesherren abweichenden konfessionellen Zugehörigkeit nicht in ihrem Ursprungsland bleiben konnten. Aus Furcht vor dem Einfluss konfessioneller Pluralität auf die Stabilität ihres Herrschaftsgebiets zwangen die Landesherren andersgläubige Untertanen ab Beginn des 16. Jahrhunderts zur Konversion oder zum Verlassen ihres Landes. Im protestantischen Sachsen führte dies ab Mitte des 17. Jahrhunderts zu einem Zustrom an Flüchtenden aus den rekatholisierten böhmischen Ländern, der bis Mitte des 18. Jahrhunderts anhielt. Während ein Teil der Flüchtlinge Sachsen lediglich durchquerte, ließen sich mehrere zehntausende Exulanten in Sachsen und der Oberlausitz permanent nieder, meist in bereits existenten Ortschaften. Die Eingliederung in die sächsischen Gemeinschaften vollzog sich meist über die protestantischen Geistlichen, die oftmals bereits zuvor Ämter in Sachsen bekleidet hatten und vor ihren Gemeinden aus den katholischen Gebieten nach Sachsen emigriert waren – sie dienten den Exulanten somit als Mittler zwischen alter und neuer Heimat und unterstützten den Transformationsprozess durch Hilfe bei Flucht oder Migration.


    Bibliografie

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